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Wie das häusliche Weihnachtsfest sich jetzt in den vornehmen Kreisen fast
des ganzen nördlichen Deutschlands gestaltet hat, ist nachstehend zu
schildern versucht:
Erst standen die Kleinen mit Harren und Bangen:
Wie freute die Eltern ihr sehnlich Verlangen,
Ihr Lauschen, ob endlich das Glöckchen nicht schalle;
Da schallte das Glöckchen: wie stürzten sie alle
Aus der Nacht in das blendend erleuchtete Zimmer!
Da war es als wiche die Sorge für immer,
Als würde die Erde, die alternde, jung
Und hätte für all ihre Kinder genung,
Als würde des Frohsinns flatternde Taube
Nie wieder dem Geier des Kummers zum Raube.
Es ragte der schimmernde Weihnachtsbaum
Wie ein Leuchtturm hoch in des Himmels Raum:
Alle Schiffe liefen bei seinem Schein
In der Wünsche friedlichen Hafen ein.
Es war der umbänderte, festlich bekränzte
Ein Freudengestirn, das Allen erglänzte,
Fruchtbringender als der Himmelsbaum,
Der Manna troff in der Wüste Raum,
Schöner als Morgen- und Abendröten,
Lieblicher, süßer als Nachtigallflöten,
Willkommener als das ersehnte Land,
Das der Seefahrer mit Jubeln erkannt:
Mit spähendem Auge hat ers entdeckt
Und die Arme verlangend hinausgestreckt,
Er will es ergreifen, berühren und fassen,
An den Busen drücken, nie wieder verlassen!
So schlugen des Christbaums tauendem Segen
Hier die Herzen all sehnsüchtig entgegen.
So dachten sich alle Sinne zu laben
An der Fülle der freundlich gespendeten Gaben.
Es wuchs die Freude, des Beschenkten Glück
Klang in die Seele des Gebers zurück.
Die Freude, die Beiden die Blicke verklärte,
Begabte die Gabe mit doppeltem Werte.
So ward dem Gebote des Kindes genügt,
Des heute geborenen, welches verfügt:
Seid freudig im Lieben und eifrig im Geben,
Das leitet hinüber zum ewigen Leben.
Die religiöse Bedeutung der Feier tritt hier fast gänzlich
zurück; aber der Geist christlicher Milde ist ihr nicht abhanden gekommen.
Mit der zartesten Aufmerksamkeit werden alle Wünsche und Bedürfnisse
der Kinder und Hausgenossen, der Freunde und Gespielen erlauscht, um sie heute
beim Scheine der Weihnachtskerzen zu befriedigen. Da gibt und empfängt ein
Jeder; zu danken braucht Keiner: der schimmernde Tannenbaum hat seinen Wipfel
geschüttelt, das Christkind hat diesen Segen gespendet.
Öfter als wir erfahren, wird auch wohltätiger Sinn den Armen ein
Bäumchen geziert oder doch eine Kerze gezündet haben. In diesem
Stücke braucht sich also wohl die neuere Sitte nicht vor der ältern
zu schämen. Und wenn diese auch den Vögeln des Himmels
Fruchtkörner streute, damit sie bei aufgehender Sonne unerwartet erquickt
würden, und der Tag, der uns das Heil gebracht hat, auch ihnen erfreulich
sei; wenn man selbst die Bäume des Gartens mit den Überresten des
Festmahls labte, so finden wir dies schön und rührend; es geht aber
das auf heidnische Opfer zurück, deren Abstellung wir um so weniger
beklagen dürfen, als sie nicht von allem Eigennutz frei waren. Unser
Büchlein will ein Bild des deutschen Weihnachtsfestes, wie es in
ältern Zeiten gewesen und in neuern geworden ist, aus dem Spiegel der
Dichtkunst zurückstrahlen lassen. Es fasst dabei mehr die kirchliche Feier
ins Auge, ohne gerade den Zweck der Erbauung zu verfolgen. Eher ließe
sich feine Tendenz als eine kulturhistorische bezeichnen. Indem es das
Weihnachtslied durch seine verschiedenen Phasen begleitet, stellt sich zugleich
die deutsche Christfeier in den drei Epochen, welchen unsere drei Bücher
entsprechen, nach verschiedenen Auffassungen und Zeitspiegelungen dar. Unser
Erstes Büchlein enthält das Weihnachtslied der ältern Kirche,
soweit es dem volksmäßigen Charakter wenigstens noch darin
entspricht, dass es keinen bekannten Verfasser hat. Das zweite Buch ist dem
evangelischen Kirchenliede gewidmet, dessen Verfasser bekannt sind, das auch
sonst schon zur Kunstpoesie neigt, ob es gleich die Einfachheit und
Herzlichkeit des Volksgesangs noch keineswegs verleugnet. Das dritte Buch
gehört dem Weihnachtslied neuerer Dichter. Der kirchliche Charakter
herrscht hier nicht mehr vor; die Poesie legt allmählich die typischen
Formen ab, das Lied gehört mehr dem einzelnen gläubigen Gemüt
als dem Chorgesang der Gemeinde: darum durfte hier der konfessionelle
Unterschied unbeachtet bleiben. Dem ersten Buch konnten wir keine feste
zeitliche Schranke geben, da der volksmäßige Charakter der Lieder
sich noch weit über die Reformation hinaus erhielt. Auch dem dritten fehlt
sie gegen das erste hin, weil die Lieder jener bekannten Verfasser, die wir
dort ausscheiden mussten, nur hier unterzubringen waren. Volle Strenge der
Anordnung wird man bei der Mannigfaltigkeit und Fülle der Erzeugnisse
nicht verlangen. Gegen die Unterstellung muss sich aber der Herausgeber
verwahren, als hätte er sich bei Auswahl der Lieder durch konfessionelle
Tendenzen bestimmen lassen. Es war der Wunsch des Herrn Verlegers, auf das dem
Volkslied verwandtere Weihnachtslied der ältern Kirche, in welchem sich
das volkstümliche Fest charakteristischer spiegelt, und das überdies
seit Jahrhunderten vernachlässigt und jetzt noch zu wenig erforscht und
zugänglich gemacht ist, sollte das Hauptgewicht gelegt werden; das neuere
mehr kunstmäßige Kirchenlied, von dem vortreffliche Sammlungen zu
Gebote stehen und das man aus jedem Gesangbuche kennen lernen kann, nur in
einzelnen ausgezeichneten Liedern vertreten sein. Hätte ja doch der hier
quellende unerschöpfliche Reichtum nicht in unser armes Büchlein
hinüber geleitet werden können. Auch mein' ich nicht deshalb Tadel zu
verdienen, weil ich bemüht gewesen bin, jene ältern in Sprache und
Versbau seit Jahrhunderten vernachlässigten Lieder uns durch Erneuerung
möglichst wieder anzueignen, während ich die jüngern in der
Gestalt gab, in welcher sie mir überliefert waren.
Mitten in den kalten Winter fällt die schöne Weihnachtszeit, ja sie
füllt, wenn wir ihre Vorfeier und Nachfeier, den Advent- und die
Epiphanientage hinzurechnen, das Herz der kalten, dunkeln Jahreshälfte
aus. Ist es doch, als wollte sie durch milde Herzenswärme den Frost des
Winters vergüten, als sollte das neugeborene Licht, vom Weihnachtsbaum in
tausend Kerzen zurückgestrahlt, die öde Nacht des Winters erhellen.
Was das christliche Weihnachtsfest betrifft, so ist wenigstens der historische
Zusammenhang ein anderer. Christus ist nicht im kalten Norden geboren, und das
noch viel jüngere Weihnachtsfest ward zuerst in warmen Gegenden
eingeführt, wo der Winter so strenge Gewalt nicht übte.
Aber dem christlichen Weihnachtsfest ging ein heidnisches voraus, im
höhern Norden Jul genannt. Hier fiel es in eine sehr kalte und beinah
lichtlose Zeit, wo die Sonne selbst am Tage kaum sichtbar ward. Doch nach dem
kürzesten Tage nimmt das fast ganz hingeschwundene Licht wieder zu: das
ist es, was wir Wintersonnenwende nennen: das Ende des alten, der Anfang des
neuen natürlichen Jahres. Darum fasste der deutsche Heide feine
Weihnachten als das Geburtsfest der Sonne: es war ihm eine heilige Zeit, die
heiligste des ganzen Jahres, bei der alle Arbeiten ruhen mussten. Zwölf
Tage währte diese Feier, die so genannten Zwölften oder Zwölf
Nächte, da die Tage nach Nächten, wie die Jahre nach Wintern
gezählt wurden.
Die wiedergeborene Sonne dachte man sich unter dem Bilde eines Ebers, dessen
goldene Borsten den Sonnenstrahlen glichen. Diesen Eber, Gullinbursti genannt,
kennen wir als das geheiligte Tier, das Symbol des Sonnengottes Freyr oder Fro.
Darum bildete beim Julfest, wie noch jetzt in England, der Schweinskopf das
Hauptgericht. Wir wissen, dass dort noch in christlicher Zeit beim Auftragen
dieser Schüssel die Zeilen gesungen wurden:
Caput apri defero
Laudes reddens domino.
Der heidnische Nordmann legte auf diesen Eber Gelübde ab, indem er
zugleich Bragis Becher leerte. Die Hand auf dem Eberhaupt vermaß er sich
irgend einer kühnen Tat, die noch innerhalb des jetzt beginnenden Jahres
vollbracht werden und würdig sein sollte, im Gesange fortzuleben. Das
bedeutete wohl Bragis Becher, denn Bragi war der Gott des Gesangs. In England
trat bei solchen Verheißungen wohl auch der Schwan an die Stelle des
Ebers; in Frankreich der Pfau, wovon das Volksbuch von Hugschapler ein
ansprechendes Beispiel gewährt. Doch ist dies Gelübde schon vom
Weihnachtsfest abgelöst, was in so später, längst christlicher
Zeit, aus der dies Volksbuch herrührt, nicht verwundern kann.
Übrigens kehren Verheißungen unter dem Namen von Gelfsprüchen
oder Ruhmreden in unserer ältesten Poesie vielfach wieder; so im Beowulf
und im Waltharius, ja sogar in einem Gedichte des karolingischen Kreises, das
Michel herausgegeben und Keller in Prosa übersetzt hat. Das
Großsprechen finden wir jetzt unanständig, damals aber gehörte
es zum Stile des Epos, dass der Held sich berühmte; nur musste dem Ruhm
die Tat auf dem Fuße folgen.
Haben wir uns wirklich vom Weihnachtsfest so weit verirrt, als es den Anschein
hat? Von dem heidnischen ist die Abschweifung wohl zu rechtfertigen, und bei
der Verehrung des Christkindleins pflegte man auch, wie unsere Lieder zeigen,
gute Vorsätze zu fassen, zunächst auch für das neue Jahr,
obgleich sie dem ganzen Leben gelten durften.
Vielleicht hat auch unsere Adventzeit im Heidentum schon ihr Gleichnis gehabt.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass unsere Martinsfeuer, die sich von Belgien
bis an die Ostsee zogen, gezündet wurden, um die freudige Erwartung
baldiger Wiederkehr des Lichtes auszudrücken. An der Stelle des
Martinfestes stand in heidnischer Zeit das große Herbstopfer zum Dank
für den Segen der Ernte, zugleich ward der Winter empfangen, den man wohl
noch jetzt nach dem Sprichwort
St. Martin
Macht Feuer im Kamin
mit diesem Tage beginnen lässt.
Zum Empfange des Winters gehörten nun jene auf den Höhen
gezündeten Feuer, die sich zu den Weihnachtsfeuern wohl nur als ein
Vorspiel verhielten. Letztere waren, den Johannisfeuern entsprechend, von sehr
weiter Verbreitung und noch jetzt mag man in den Lichtern des Weihnachtsbaumes
ihren Widerschein erkennen. Für Vorspiele der Weihnachtsfeier halte ich
auch die Umzüge in den Adventnächten sowie beim Martins- und
Nikolausabend, bei welchen noch Wesen des, alten Heidentums zu erscheinen
pflegten, die auch in den Zwölf Nächten Umzüge hielten, entweder
nur in der Phantasie des Volks, das den alten Glauben noch nicht ganz vergessen
hatte, oder in Vermummungen dargestellt, welche nach der Volkssitte von jeher
zur Feier des Tages gehört hatten.
Dem nordischen, also auch dem deutschen heidnischen Weihnachtsfest entsprachen
bei den Römern die Saturnalien, die auf die Entstehung des christlichen
Weihnachtsfestes nicht ohne Einfluss bleiben sollten.
Auch die Saturnalien hatten Bezug auf den Wechsel des Jahrs, die
Verjüngung der Natur und das mit der Sonnenende wiederkehrende Licht. Das
schon keimende frische Saatengrün schien auch dem kommenden Jahre neue
Segensfülle zu verheißen. Mit dem Feste des Gottes, der in der
goldenen Zeit unter den Menschen gelebt haben sollte, schien diese selber
zurückzukehren: der Unterschied der Stände, von dem jene selige Zeit
noch nichts gewusst hatte, war aufgehoben: der Sklave trug das Zeichen der
Freiheit, den Hut; der Herr legte ihm seine Kleider an und bediente ihn bei der
Tafel. Zugleich ruhten die Gerichte, alle Strafe blieb ausgesetzt, Krieg und
Feindschaft schwiegen. Wie ähnlich ist das der Schilderung des Tacitus von
dem Feste der Nerthus, welche deutsche Völker als Mutter Erde verehrten,
derselben Göttin, die bei den Römern als Ops für Saturns Gattin
galt. Wenn Nerthus unter die Völker auszog, ihnen Frieden und
Fruchtbarkeit zu bringen, dann waren frohe Tage. Alles schmückte sich
festlich, wo sie einzukehren würdigte; der Krieg ruhte, die Waffen
schwiegen, alles Eisengerät ward verschlossen: Frieden und Ruhe walteten,
bis der Priester die des Umgangs mit den Sterblichen ersättigte
Göttin dem Heiligtum zurückgab. Dass dieses Fest um die
Winter-Sonnenwende begangen wurde, darauf deutet, dass der nordische
Njördr, den wir schon des verwandten Namens wegen als ihren Gemahl
auffassen müssen, dem Saturn entspricht. Auch Er hatte die Menschen in
Ackerbestellung und Weinbau unterrichtet, und die Schweden glaubten, er gebiete
über die Jahresernte und den Wohlstand der Menschen. Als Gemahl der
Göttermutter, die mit der Mutter Erde zusammenfiel, hatte er die Sonne in
Gestalt eines Eberbildes zum Symbol und so ist auch sein Sohn Freyr oder Fro
als Sonnengott aufzufassen.
Mit den Saturnalien war in der spätern Zeit das Mithrasfest verbunden, ein
ursprünglich orientalischer, persischer Dienst. Als Sol invictus, dessen
Fest um die Zeit des kürzesten Tages begangen wurde, muss auch Mithras ein
Sonnengott gewesen sein. Es wird berichtet, in Roms Katakomben sei eine
Steinplatte gefunden worden, welche die Geburt des Sonnengottes Mithras
darstellen sollte. Ein Ochse und ein Esel stehen am Lager des neugeborenen
Gottes. Die Berührung mit dem Christentum wäre zu auffallend, wenn
nur ein Zufall gewaltet hätte. Nach Preller Röm. Myth. 759, brachte
es der letzte und schon verzweifelte Kampf des Heidentums mit dem Christenthum
mit sich, dass die Anhänger jenes sich vorzüglich solchen Mysterien
anschlossen, welche mit dem Christentum eine gewisse äußere
Ähnlichkeit zeigten.
Wir könnten die Geburt des Osiris herbeiziehen, könnten die Freude
über die Wiedergeburt der Sonne und das erneute Natur- und Pflanzenleben
von Island, ja von Grönland bis Japan verfolgen; wir würden aber
überall demselben Gedanken begegnen, in allen diesen Jahresfesten die
gleiche Vorstellung walten sehen. Jedoch am stärksten spricht sich das
Naturgefühl bei den Germanen aus; freilich war auch bei ihnen der
Unterschied der Jahreszeiten am größten.
Der Winter erschien ihnen als ein gramherziger menschenfressender Riese: er ist
es, welchen das deutsche Märchen durch die dem Leser gewiss unvergessenen
Worte: "ich rieche, rieche Menschenfleisch" kennzeichnet. Die Riesen
sind überhaupt die Feinde der Götter und Menschen, welchen sie Sonne
und Mond, diese freundlichen Himmelslichter, nicht gönnen, wie sie auch
der schönen Frühlingsgöttin Freyja nachstellen, weniger weil sie
selbst nach ihrem Besitz verlangte, als um die Welt in Nacht und Frost zu
versenken und alles Leben zum Erstarren zu bringen. Alle verderblich wirkenden
Naturerscheinungen, alle zerstörenden Kräfte werden in ihnen
angeschaut, besonders aber die kalten Winterstürme, welche Eis und
Hagelschauer herbeiführen und das schon erwachende Pflanzenleben noch
ferner unter der rauen Winterhülle gefangen halten.
Uns moderne Treibhauspflanzen, die wir im Winter hinter doppelten Fenstern
einen künstlichen Sommer genießen, hat die Kultur gegen den
Unterschied der Jahreszeiten gleichgültiger gemacht: jene
naturgemäß lebenden Völker empfanden ihn in seiner ganzen
Schwere. Der lange Winter hemmte allen Verkehr, alles Leben schien eingefroren
und wenn die für den Sommer aufgespeicherten Vorräte nicht mehr
reichten, so stand die Hungersnot vor der Türe, da nur bevorrechteten
Ständen die Jagd noch eine Auskunft bot. So ward dieser Winter wirklich
meschenfresserisch und die Freude des Volks ist begreiflich, wenn Boten des
Frühlings ihm baldige Erlösung verhießen. Da tanzte man um das
erste Veilchen, der erste Maikäfer ward festlich ein- geholt und kam der
Mai selber, so zog man ihm in feierlichem Aufzug entgegen in den Wald, um ihn
zu empfangen, d. h. ihn zu begrüßen und zu bewillkommnen.
Sumer, wis enphangen von mir hundert tûsent stunt singt noch Nithart, bei
dem sich dies Naturgefühl wieder stärker ausspricht, als bei den
frühern Minne-Dichtern, die sich von dem Leben des Volks abgekehrt und
gleichsam in die Tiefe der eigenen Brust zurück gezogen hatten. Der
altüberlieferten Sitte, das Lied mit Sommer und Winter zu beginnen, wendet
er sich mit Bewusstsein wieder zu, ja seine Gedichte zerfallen in Sommer- und
Winterlieder, die so ganz verschiedene Gattungen bildeten, dass sie weder
Inhalt noch Form gemein hatten.
Von Sommer und Winter zieht uns ein verwandter Gegensatz ab, der einer lichtern
und dunklern Jahreshälfte. Sie waren durch die Sonnenwenden geschieden,
und zwar galt die Zeit des abnehmenden Lichts, von der Sommer- zur
Wintersonnenwende, für die dunkle, die des zunehmenden, von Weihnachten
bis Johannis, für die lichte Seite des Jahres. So groß war die
Freude über die Erneuerung des Lichts und die längenden Tage, dass
man diese Jahreshälfte für hell, die andere für dunkel ausgab,
obgleich in der Tat Licht und Dunkel gleich zwischen ihnen verteilt war. Der
Wahrheit näher stand es, wenn man die beiden Götter, in welchen diese
Jahreshälften persönlich angeschaut wurden, als gleiche Brüder,
als Freunde auffasste, während sie ein andermal einander höchst
unähnlich, der eine schön, der andere hässlich, erschienen. In
der deutschen Mythe werden sie sogar als Feinde, ja der eine als des andern
Mörder dargestellt: der blinde Hödur tötet den lichten Baldur:
er fällt auf dem Gipfel seines Siegs, im höchsten Glanz des von ihm
gespendeten Sonnenlichts, beim Feste der Sommersonnenwende. Die Zeit des
zunehmenden Lichts ist vorüber und mit der abwärts neigenden Sonne
beginnt die Herrschafft des blinden Hödur und währt bis Weihnachten:
da wird Wali geboren, der Rächer Baldurs, der noch keinen Tag alt sogleich
zum heiligen Werk der Rache schreitet: er wäscht die Hand nicht, er
kämmt nicht das Haar, bis er den Mörder Baldurs zum Holzstoß
trug, zu dem Scheiterhaufen, der in den Weihnachtsfeuern wiederstrahlt.
In Baldurs Tode hatte Götter und Menschen der empfindlichste Verlust
betroffen. Der Schmerz über den Tod des schönsten und mildesten der
Asen hat sich der Mythe so tief eingeprägt, dass ihr das Bewusstsein
entsank, Baldur sterbe alljährlich und alljährlich nehme Wali an dem
blinden Hödur Rache für seinen Tod.
Baldur schien jetzt ein für allemal gestorben, der Welt unwiederbringlich
verloren: erst in der erneuerten Welt sollte er aus Hels Hause
zurückkehren und ein neues Lichtreich beherrschen.
Stärker konnte sich die Furcht und Abneigung vor dem Winter und seinen
Schrecken nicht aussprechen, als indem man ihn als den Tod der Natur fasste,
wie das sowohl in dem Mythus von Baldur als in dem von Idunn, der Göttin
des Sommergrüns in Gras und Laub, geschah.
Mit Baldurs Tod, um die Sommersonnenwende, beginnen die Tage zu kürzen;
der Mythus vergisst, dass sie mit der Wintersonnenwende wieder längen.
Baldurs beunruhigende Träume erfüllen die Götter mit bangen
Ahnungen: mit seinem Tode aber stellt sich ihnen der unvermeidliche Untergang
vor Augen. Und als Idunn, das grüne Sommerlaub, von der Weltesche gesunken
ist, und der Weltbaum entblättert dasteht, fühlen sie er- schreckt
den Winter eintreten und zweifeln, ob der Sommer je wiederkehre. Odin sendet
Heimdal, den Wächter der Brücke, über welche beim Weltuntergange
die Riesen einbrechen werden, die jetzt in der Unterwelt weilende Göttin
zu fragen, was sie von den Weltgeschicken wisse und ob das Ihr Widerfahrene der
Welt und den Göttern Unheil bedeute. Diese Sendung hat keinen Erfolg,
Idunn weint und schweigt. Das ganze Gedicht ist in einem ahnungsvollen Tone
gehalten und erinnert uns an die wehmütigen Gefühle unserer eigenen
Brust, wenn wir im Herbst die Blätter fallen und fallen sehen. Wie sehr
das bunte Farbenspiel noch die Augen ergehe, die herbstliche Empfindung tut
Niemand wohl. Doch erinnern wir uns dann, dass der Mensch nicht bloß den
Sommer, auch die Natur selbst überlebt und so bietet uns die Hoffnung
eines neuen ja ewigen Frühlings Trost und Stärkung. War dem Heiden
dies letzte Bewusstsein, das ihm keineswegs gänzlich fehlte, nur in
schwächerm Maße verliehen, gehörte es nicht dem ganzen Volle,
nur den Auserwählten, die auf dem Schlachtfelde fielen, so musste ihn die
Wiederkehr der Sonne beim Julfest mit um so größerer Freude
erfüllen, und dies mag der Grund sein, warum die Wintersonnenwende allen
heidnischen Völkern eine so heilige Zeit war und sich auch bei den
Germanen auf eine so lange Frist erstreckte.
Damit das Heidnische in der Vorrede zu einem Büchlein, das einem
christlichen Feste gewidmet ist, nicht zu sehr überwuchre, übergehe
ich die vielen heidnischen Nachklänge, die in den Volksbräuchen der
christlichen Zeit noch hervortreten.
Ich will Meinen Lesern die Umzüge Wodans und Frickas oder Holdas und
Berchtas nicht schildern, wenn sie an der Spitze des wilden Heeres durch die
Lüfte brausen; ich will sie mit den deutschen Volksgewohnheiten nicht
hinhalten, indem ich ihnen den Schimmelreiter, den Erbsenbären und den
Haferbräutigam vorführe; der Klapperbock, die Habergaiß und die
Pudelmutter soll Niemand erschrecken, so wenig als das Getöse der
Posterlijagd und der Rumpelnächte. Am Wenigsten möchte ich den Leser
auf Polse und Mehlbrei, oder Knödel und Heringe, Pelz und Mohnstriezel
bitten, oder welchen andern Namen die herkömmliche altheidnische Speise
des Festes in einzelnen Landschaften führe. Der Eberkopf, der noch in
England zu Weihnachten das Hauptgericht bildet, ist soviel ich weiß von
deutschen Tafeln verschwunden. Es werden also auch keine Gelübde mehr
darauf abgelegt. Nur von der Sitte, bei dem Eberopfer die Minne der Götter
zu trinken, hat sich in unseren Toasten eine kaum noch erkennbare Spur
erhalten.
Auch stellt sich in diesen und verwandten Gestalten und Gebräuchen, die
Weinhold, Weihnachtsspiele und Lieder, ausführlich geschildert hat, das
Heidenthum keineswegs von seiner edeln Seite dar. Es war aber natürlich,
dass sie unter der Herrschaft des Christentums verwahrlosten und entarteten.
Die Frage, ob der grüne Weihnachtsbaum mit seinen unzähligen Lichtern
noch aus dem Heidentum stamme, glaube ich indes nicht ganz übergehen zu
dürfen.
Entscheiden lässt sie sich nicht: was wir für unsere Ansicht
anführen könnten, sind nichts als Märchen und diese fallen nicht
schwer ins Gewicht: wissen wir doch nicht einmal, wann sie entstanden sind, und
ob nicht etwa gar christliche Vorstellungen Eingang in sie gefunden haben. Ich
ziele zunächst auf Aschenputtels Bäumchen, das auf dem Grabe ihrer
Mutter stand und dem sie zurief:
Bäumchen, rüttel und schüttel dich,
Wirf Gold und Silber über mich!
Verwandt ist das Märchen vom Machandelboom, womit der ewig grüne
Wachholder gemeint ist, dem uralte Heiligkeit zukam, und dessen
verjüngende Kraft sich an dem Knaben bewährte, den die böse
Stiefmutter geschlachtet hatte. Wem fällt nicht auch das von Frau Holle
ein, wo das in die Unterwelt geratene mitleidige Mädchen die Äpfel
von dem Baume schüttelt, der unter seiner Last erseufzt. In zahlreichen
andern Märchen wird die Aufgabe gestellt, Äpfel vom Baume des Lebens
zu holen. Dieser Baum mit goldenen Äpfeln kommt auch in dem Märchen
von Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein vor: es sind wohl
dieselben Äpfel, welche Idunn vom Weltbaum gebrochen hat, denn nicht immer
ist er eine Esche, öfter wird er als Apfel- oder Birnbaum gefasst. Ich
erinnere an den Birnbaum im Eingang des Renner und den bekannten Birnbaum auf
dem Walserfelde, der nichts als der verdorrte, in der verjüngten Welt
wiederergrünende Weltbaum ist. Für den Tag der Geburt Christi
historische Zeugnisse vor- zulegen ist unseres Amtes nicht. Gewiss fällt
aber ihre Feier sehr glücklich in die Zeit, welche von jeher der
Wiedergeburt des Lichtes gewidmet war. Denn Christus war das Licht der Welt,
der Tag, der in die lange Nacht des Heidentums schien. Darum war auch dieses
Fest das herrlichste von allen, wie es schon als die Quelle aller übrigen
den Vorzug verdiente. Auch im Volke spricht sich die Heiligkeit dieser Zeit in
mancherlei Aberglauben aus. In der Weihnacht wandelt sich alles Wasser zu Wein,
in der Weihnacht wird die Zukunft erforscht, indem man siedendes Blei ins
Wasser gießt und aus den Gestalten, die das Blei annimmt, prophezeit; in
der Weihnacht unterredet sich das Vieh im Stalle, und wer an den goldenen
Sonntagen geboren ist, kann es verstehen und viel Verborgenes erfahren. So wird
auch die Witterung der Zwölf Nächte beobachtet, weil sie vorbedeutend
ist für die Witterung der Zwölf Monate des Jahres. Mag Manches
hiervon noch dem Heidentum angehören; das christliche Fest musste sich
tiefer in die Herzen senken. War der Heide noch ganz in der Natur befangen
geblieben, so fühlte sich der Christ in ein geistiges Gebiet erhoben.
Statt der Erlösung aus den Banden des Winters, dem Tod der Natur, sah er
sich von den Fesseln der Sünde, dem Tod des Geistes entbunden. Darum ist
dies Fest schon früh aus der Kirche in das Haus gedrungen und alle
Künste haben es zu verherrlichen gewetteifert, denn hier hatten sie ihre
höchste Aufgabe gefunden, wie es Schiller schön mit den Worten
ausdrückt:
Höheres bildet
Die Kunst nicht, die göttlich geborene,
Als die Mutter mit ihrem Sohn.
Die bildende Kunst übte sich zuerst und übt sich noch heute in den so
genannten Krippchen, Darstellungen der demütigen Geburt des Herrn im
Stalle, neben Ochs und Eselein, von der Mutter und dem frommen Joseph gepflegt,
von Engeln in langen Gewändern umhüpft und umspielt. Von dem Kinde
ging in den altdeutschen Gemälden alles Licht aus, denn wenn auch der Mond
am Himmel stand, so empfing doch Alles seine Beleuchtung offenbar nur von dem
göttlichen Kinde.
Zuweilen streckten auch die Hirten schon verlangend die Arme aus nach der so
lange verheißenen, sehnsüchtig erharrten neuen Sonne der Welt;
öfter sah man sie, noch draußen auf dem Felde ihre Herden weiden;.
aber schon hat sich die Wolke aufgetan. aus der ihnen das gloria in excelsis
erschallen soll. Dann sah man wohl auch von Einer Seite schon die heiligen drei
Könige auf Mäulern und Kamelen heranziehen, dem Kinde Gold, Weihrauch
und Myrrhen zu opfern. Solche bildliche Darstellungen sind in katholischen
Ländern noch jetzt herkömmlich; im südöstlichen Deutschland
pflegte in jedem Bauernhause eine Krippe gebaut zu werden. Anfangs wurden sie
wohl in der Kirche selbst, später nur in deren Nachbarschaft oder bei dem
sinnigen Künstler selbst aufgestellt und von Kindern und Eltern gerne
besucht. Am Niederrhein gebraucht man das Wort Krippchen wohl noch im Sinne von
Komödie, zum Beweise, dass auch das deutsche Schauspiel, das zuerst ein
geistliches war, hier seinen Ausgang genommen hat. Das Weihnachtsspiel, aus dem
sich auch viele unserer Weihnachtslieder abgelöst haben, ist nicht
jünger als das Osterspiel: aus diesen beiden aber sollte das altdeutsche
Schauspiel hervorgehen.
Als die Krippen noch in den Kirchen selbst erbaut wurden, entsprang wohl die
Sitte des Kindelwiegens, auf das sich mehrere unserer Lieder beziehen. Maria
sitzt bei der Wiege und fordert Joseph auf, ihr das Kindlein wiegen zu helfen:
Joseph, lieber Joseph mein,
Hilf mir wiegen mein Kindelein,
Dass Gott dein Lohner müsse sein
Im Himmelreich,
Du reine Magd Maria!
worauf Joseph entgegnet:
Gerne, liebe Muhme mein,
Ich will dir wiegen dein Kindelein,
Dass Gott mein Lohner müsse sein
Im Himmelreich,
Du reine Magd Maria!
Davon hat sich im Volkslied eine durch das Weihnachtsspiel vermittelte halb
drollige Erinnerung erhalten, die jedoch auch rührender Auffassung
fähig ist. Wir werden aus der Kirche ins Freie verletzt:
Da droben auf dem Berge, da wehet der Wind,
Da sitzt die Maria und wieget ihr Kind.
Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand,
Sie braucht dazu kein Wiegenband.
Ach Joseph, lieber Joseph mein,
Ach hilf mir wiegen mein Kindelein.
"Wie kann ich dir denn dein Kindlein wiegen?
Ich kann ja kaum selber die Finger biegen".
Als die Krippe aus der Kirche verschwand, stellte man. nach
übereinstimmenden Berichten aus dem 16. Jahrhundert die Wiege mit der
Puppe, die das Kind vorstellte, vor den Hochaltar, oder wohl gar auf den Altar
selbst, während Kinder und Alte Wiegenlieder sangen, Mädchen und
Jünglinge umhertanzten. Das kann Entartung sein.
Jahrhunderte vorher hatte man die geistlichen Spiele aus den Kirchen verwiesen,
weil Maria Magdalena als reizende Sünderin üppige Lieder sang und
tanzte und der Quacksalber als lustige Person nicht reinen Mund hielt. Dennoch
spielt Luther auf die Sitte des Kindelwiegens ohne Widerwillen an, ja eher mit
Wohlgefallen. Er sagt in seiner Bearbeitung des Liedes: Vom Himmel hoch da komm
ich her:
Davon ich allzeit fröhlich sei
Zu springen, singen immer frei
Das rechte Susaninne schon
Mit Herzenlust den süßen Ton.
Das unserm Eia popeia ähnliche Susaninne ist den Liedern entnommen, die
beim Kindelwiegen gesungen wurden, was vermuten lässt, dass auch das
Springen wie das Singen Luthern dazu gehörte. Erst seine Schüler
suchten die Sitte aus der Kirche zu verdrängen. Doch hat sie sich in
katholischen Ländern hier und da noch jetzt erhalten und selbst in den
evangelischen sind bis aus sehr junge Zeiten Spuren ihres Fortbestehens
nachgewiesen.
Wenn bei den Kindelwiegeliedern, welche wir aus- heben, Alles das wirklich
geschah, was darin erwähnt wird, so waren sie schwerlich für die
Kirche bestimmt, wo man das Speisen, Tranken und Baden des Kindes, geschweige
das "Feuerchen- Stochen" zum "Müslein-Kochen" wohl
nicht zugelassen hätte. Bei der Ausstellung der Krippe außerhalb der
Kirche konnte das kaum Anstoß geben. Damit stimmt auch, dass diese Lieder
in die Weihnachtsspiele, die so genannten Krippchen, mit aufgenommen wurden.
Vor der Krippe mögen überhaupt die meisten Weihnachtslieder gesungen
sein. Ich denke sie mir auch als die Bühne, auf welcher die
Weihnachtsspiele ursprünglich aufgeführt wurden. Nach Weinhold 87
wurden im südlichen Deutschland Krippen in jedem katholischen Hause
aufgebaut. Junge Burschen des Dorfs oder der Nachbarschaft gingen von Haus zu
Haus, dramatische Gesänge, welche den Übergang aus den Liedern in die
Spiele bildeten, gegen eine kleine Gabe vorzutragen.
Die Anbetung der Hirten war der beliebteste Gegenstand der bildlichen
Darstellungen in diesen Krippen. So verwundert es nicht, wenn unter den
Weihnachtsliedern Hirtenlieder stark vertreten sind, und auch im
Weihnachtsspiel die Darstellung des Hirten und Schäferlebens die Volkslust
am meisten anregte.
So sehen wir auch aus den Dreikönigsspielen, welche Wein- hold mitteilt,
dass sie fast nur aus unsern Dreikönigsliedern bestehen. Die Quelle der
Sitte war ursprünglich reine Frömmigkeit; als sie zur Erwerbsquelle
gemacht wurde, zuletzt nur noch einen
Vorwand zum Betteln, ja zu noch Schlimmern abgab, schritt die diesmal wirklich
löbliche Polizei wider sie ein. In Süddeutschland ist sie indes noch
nicht abgestellt. Wir haben Berichte aus Thüringen, Schwaben, Bayern,
Tirol und Oberkärnten; doch stimmen sie im Ganzen überein. Am
Seltsamsten lautet der Thüringer: Drei als Könige verkleidete Knaben
geben umher; der eine, der an Gesicht und Händen geschwärzt den
Mohrenkönig vorstellt, führt den Stern an einer Stange, an dem auch
ein Brett befestigt ist. Auf dem Brett erkennt man ein Schloss, aus dem Herodes
heraussieht, mit braunrotem Gesicht und schwarzer Perücke. Zur einen Seite
des Schlosses treten die kleinen drei Könige aus einer Laube, sobald das
Lied es verlangte; auf der andern befindet sich die Krippe, d. h. der Stall mit
Joseph, Maria und dem Kinde in Gesellschaft eines Ochs- und Eseleins. Die
Figuren waren beweglich und machten zu dem erzählenden Liede die
nötigen Bewegungen, ganz wie im Puppenspiel, auf dessen Zusammenhang mit
den geistlichen Liedern wir also gewiesen werden.
Wie die Umzüge selbst, so zeigen auch die Lieder soviel Verwandtschaft,
dass man ein gemeinschaftliches Lied als Grundlage annimmt, das vom Volte in
der Kirche gesungen ward, als die Krippen noch in den Kirchen aufgebaut zu
werden pflegten; damit stimmt auch, dass in Oberkärnten die
Kirchensänger es sind, welche als Sternsinger umherziehen, verschieden von
den Tölggersingern, welche gleichzeitig von Haus zu Haus gehend
Hirtenlieder sangen, welche von der Darstellung der Berufung der Hirten
herrührten. Auf die Adventlieder müssen wir etwas genauer eingehen.
Sie sind viel ernster und strenger gehalten als die eigentlichen
Weihnachtslieder, die wieder zur Fröhlichkeit, ja zum Jubel neigen.
Das Kirchenjahr beginnt mit dem Advent, der Zeit der Erwartung. Sie war eine
Vorbereitung zu würdigem Empfange des Heilands. Daher rief sie wie einst
Johannes der Täufer, der Vorläufer des Herrn, zur Buße auf. Es
waren Fasten an- geordnet, Hochzeiten und Freudenfeste blieben ausgesetzt, der
Gottesdienst selbst nahm einen ernstern Charakter an, indem man bunte
Gewänder vermied und statt heiterer Gesänge Bußpsalmen
anstimmte. Diesen sind auch unsere Lieder verwandt, welche das sehnliche
Verlangen nach der Ankunft des Heilands aussprechen. Das erste, um die
Sehnsucht des Heidentums nach Erlösung zu schildern, führt uns zu den
Altvätern, die in der Vorhölle die Ankunft des Heilands erwarten,
wenn er die Pforten der Hölle zu brechen hinabsteigen wird. Denn wie der
Advent bildlich die ganze Zeit vor der christlichen Offenbarung bedeutet, so
will das Kirchenjahr jene sehnsüchtige Erwartung im Gemühte der
Gläubigen erneuen. Die beiden folgenden Lieder beziehen sich schon auf den
letzten Sonntag im Advent, der im kirchlichen Kalender Rorate genannt wird mit
Hindeutung auf die Worte der Schrift, mit welchen auch unser drittes, nicht
altes Lied beginnt: "Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken regnet ihn
herab, öffne dich Erde und sprieße uns den Erlöser
hervor!" Stärker kann sich die Sehnsucht nach dem Erlöser nicht
ausdrücken, als indem Himmel und Erde und zwischen beiden die Wolken
beschworen werden, ihn aus sich hervorzubringen. Zur kirchlichen Feier des
Advents gehörten auch die so genannten Roratemessen, die noch jetzt in
katholischen Ländern in aller Frühe gehalten werden.
Die Erinnerung an die Verkündigung als eine Verheißung, die sich
jetzt erfüllen soll, kann in der Zeit der Erwartung nicht fehlen, obgleich
ihr im Frühling ein anderes Kirchenfest gewidmet ist. Selbst der
Gottesdienst pflegte am vierten Adventsonntage auf die Verkündigung
hinzudeuten, indem der Diakon das Evangelium Missus est Angelus vortrug oder
gar ein Priester von Kerzenträgern und Weihrauchministranten begleitet es
absang. Nach Martene antwortete zu Besancon dem Diakon, welcher die Worte des
Engels vortrug, eine schön gekleidete Jungfrau in den Worten der h. Maria.
Vgl. Weinhold 46. Daher behandeln auch Adventlieder die Verkündigung.
Sie stammen aus sehr verschiedenen Zeiten; zum Teil sind sie aus dem Volke
selbst entsprungen, das sich dabei gerne an bekannte Volkslieder anschloss,
welche nur geistlich umgebildet wurden. Dahin gehört selbst das doch so
eigentümlich herrliche Lied von der klagenden Menschheit, das eine Melodie
begleitet, welche Weinhold herzgreifend nennt. Ich halte es für sehr alt:
die Reime haben oft noch ganz althochdeutschen Charakter, indem sie mit einem
Konsonanten anheben, ans welche z. B. in dem Reime umschatten: Worten ein uns
ganz ungewohntes Gewicht liegt.
Den Übergang von den Adventliedern zu den eigentlichen Weihnachtsliedern
bilden einige mehr dogmatisch gehaltene Lieder, von welchen das erste sich
einem lateinischen Kirchenhymnus anschließt. Noch das erste unsrer
Weihnachtslieder stimmt in diesen Ton. Den dogmatischen folgen zwei andere,
welche eine Übersicht über die ganze evangelische Geschichte
gewähren. Das erste hat vielleicht nur zwei ganz alte Strophen; doch halte
ich alle folgenden für keineswegs unglückliche Zudichtungen.
Dass in der ersten Zeile ein Reis, nicht ein Ros zu lesen ist, ergibt sich aus
dem Sinne, wie es auch das folgende Lied, das ich deshalb eingeschoben habe,
bestätigt, denn hier ist Maria das Zweiglein, Christus die Rose.
Überdies bezeugt Hofmann, dass diese Lesart bei Corner 1658 in
Übereinstimmung mit Jesajas, 11, 1, 2 wirklich begegnet. Vgl. Ph.
Wackernagel S. 869. Ich will nicht verschweigen, dass S. 59 unter der Rose die
Jungfrau verstanden ist. Auch das folgende gleichfalls eine Übersicht
bietende Lied erscheint meistens mit viel geringerer Strophenzahl; aber hier
ist dann die Abkürzung unzweifelhaft.
Zum Verständnis des nun folgenden Liedes S. 54 muss man wissen, dass es
sich an die alte mythologische Darstellung anschließt, dass die Kinder zu
Schiffe kommen, wie sie sonst vom Storch gebracht werden.
In den nächsten Liedern steigert sich die Freude über die trostreiche
Geburt des Heilands allmählich bis zum Preisgesang, ja zuletzt bricht sie
in lautschallenden Jubel aus. Zu diesem Zwecke bedienen sich die Lieder aller
Mittel, welche Musik und Verskunst nur zu Gebote stellen, die letztere greift
besonders gerne zum Refrain und zur Einschiebung lateinischer Zeilen, die dann
in Überarbeitungen wohl auch wieder übersetzt werden. Die Lieder, in
welchen deutsche und lateinische Zeilen wechseln, pflegt man Glossenlieder zu
nennen, von welchen uns Hofmann eine eigene Sammlung geschenkt hat. Den schon
besprochenen Kindelwiegeliedern stehen zwei Gespräche zwischen Joseph und
Maria voran, welche sich aus jenem beim Kindelwiegen gesungenen ältesten
Liede s. o. S. XX, entwickelt haben. Dem zweiten findet man gewöhnlich
eine Reihe schlechterer Strophen vorausgeschickt. Endlich den Sterndreheliedern
sind einige andere von umherziehenden Männern oder Frauen gesungene auf
die Weihnachtszeit bezügliche Lieder angehängt, welche den Schluss
der ersten Abteilung bilden. Die Lieder der beiden andern Abteilungen stehen
unsern Sitten und Anschauungen näher und bedürfen keiner
Erläuterung. Der Unterschied zwischen Advent- und eigentlichen
Weihnachtsliedern verleugnet sich auch hier nicht.
Die dritte würde mit einer einzelnen Strophe Spervogels aus der andern
Hälfte des zwölften Jahrhunderts anheben müssen; ich ziehe aber
vor, sie hierher zu setzen:
Er ist gewaltig und stark,
Der Weihnacht geboren ward:
Das ist der heilige Christ.
Ihn lobet Alles was da ist
Bis auf den Teufel alleine.
Um seinen großen Übermut
ward ihm die finstre Hölle zu Teile.
Höher hinauf ist das Weihnachtslied, auch das volksmäßige, kaum
zu führen; doch haben einige unserer namenlosen Lieder sehr alten Klang,
worauf ich bei einem derselben schon aufmerksam machte.
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